14. 04. 2021 Gebeugt - Gebrochen - Gefallen
Ich laufe in Richtung Feensteig. Vor meinem linken Auge in Richtung 12 Uhr ist plötzlich eine kleine graue Wolke sichtbar. Ich blicke nach links, nach recht, nach unten – kein Grauschleier. Auf 12 Uhr sehe ich ihn wieder. Es fühlt sich an, als ob Haare vor meinem Auge sind, sind sie jedoch nicht. Was ist das? Ein grauer Schleier trübt meine Sicht. Er stört mich. Dann als ich kurz vor dem Wald bin, kommt mir eine Idee. Alles ist nur Energie und meine Gedanken haben Kraft. Kann ich diese graue Wolke in mir auflösen?
Ich reibe meine Hände aneinander und forme eine zwei hohle Hände. Diese lege ich jetzt über meine Augen. Dadurch entspannen sich meine Augäpfel. Jetzt gehe ich blind mit beiden Händen vor den Augen langsam weiter. Unter meinen Füßen spüre ich den Kies.
Langsam - achtsam – lauschend,
schreite ich voran. Dann nehme ich die rechte Hand vom Auge weg und gehe noch
eine Weile weiter, mit zugehaltenem linken Auge. Durch meine Hand scheint die
Sonne und ich sehe ein leichtes Rosa. Das rechte Auge frei, sehe ich die Welt
jetzt nur eingeschränkt, eindimensional. Jetzt nehme ich die Hand vom linken
Auge weg. Die graue Wolke ist verschwunden. Mein Blick scheint sogar geschärft.
Ich wechsle die Hände. Jetzt das linke Auge frei, das rechte bedeckt. Hier
nehme ich keinen Lichtschein durch meine Hand wahr. Ich bin linkshändig und
auch linksäugig. Der Wechsel zwischen links und rechts ist interessant und so
wechsle ich im Laufe des Gehens die Augen hin und her.
Durch das langsame gehen entdecke ich kurz vor dem Lauschen
eine frisch
gefällte Hainbuche. Viele Jahre stand sie da und neigte sich über den Weg. Hat
sie sich gebeugt oder hat sie sich einem anderen Baum zugeneigt?
Dieser Baum hatte eine besondere
Stammform und ich habe diese Buche mit Freude betrachtet. Jetzt ist sie
gebrochen worden. Es macht mich sehr traurig und Tränen laufen mir über die
Wange. Ich streichle über den Stamm und entschuldige mich in Gedanken bei dem
Baum für die Unachtsamkeit. Vielleicht hätte es andere Möglichkeiten gegeben,
andere Wege? Kleine Umwege.
Vielleicht braucht es den ein oder anderen Umweg, um letztendlich auf dem Weg
des Herzens zu bleiben.
Der Baum hat sich gebeugt und wurde jetzt gebrochen.
Wie ist es mit uns Menschen?
Was passiert, wenn wir uns beugen?
Werden wir auch gebrochen?
Was ist, wenn wir aufrecht stehen, ganz in der Kraft? Hat dann jemand Macht?
Ich bleibe aufrecht, in meiner Kraft, in meiner Würde.
Ich verlasse den Wald. Meine Augen sind entspannt und durch die Tränen ins Fließen gekommen.
Als ich den Rückweg durch die alltägliche Welt nehme, sehe ich den grauen Schleier wieder.
Eine Welt mit Grauschleier, so stellt sie sich im Moment in der Realität dar.
Am Abend sehe ich etwas wirklich lustiges im Fernseher und lache mit meinem Mann all das Dunkle weg.
Die graue Wolke hat sich aufgelöst - durch entspanntes Sein und herzhaftes Lachen.
Aus Schatten wird Licht – aus einer grauen Wolke eine rosafarbene.
Katrin