15. 10. 2020 Schätze
Suchen und finden
Heute im Wald.
Ampelfarbenes Ahornlaub in der Schatztruhe: Grün – Gelb – Rot.
Am Jungbrunnen begegnen mir zwei Kinder mit ihrer Mama und Oma. Sie haben gelbe Körbchen aus Filz in der Hand, die wie eine geöffnete Blüte wirken.
„Ist denn Ostern?“, frage ich. „Nein, wir suchen die Schätze des Herbstes. Ich hab schon welche verloren“, sagt das kleine Mädchen und wird etwas traurig. Sie zeigt auf die roten Hagebutten im Körbchen.
„Wenn du dem Weg des Täubchens weiter folgst, dann findest du noch viele Büsche mit roten Hagebutten.“, sage ich zu ihr.
Ich laufe eine Runde um den Jungbrunnen und finde zwei rote Butten auf dem Holz, hebe sie auf und laufe hinter dem Mädchen her.
„Oh, da ist wieder ein Schatz“, ruft sie freudig und zeigt auf die beiden Holztafeln mit dem Märchen. Mama liest die Geschichte vor. Beide Mädchen fangen an über die Holzstümpfe zu balancieren. Immer wieder hüpfen sie den Weg entlang.
Ich laufe ein Stück des Weges mit ihnen, bleibe am Dienen stehen und gehe mit ihnen gemeinsam durchs Vertrauen . Mathilda ist fünf Jahre alt. Noch zweimal schlafen, dann wird sie sechs. „6 plus 6 ist 12, das hat mir meine Mama schon gelernt.“ Im Kiefernwäldchen erschrickt Mathilda als Mama sagt, dass hinter der nächsten Ecke wohl Menschenfresser hausen. Mittlerweile ist es dämmrig geworden und eine mystische Abendstimmung durchzieht den Wald. Oma sagt: „Die Menschenfresser sind bestimmt von den Feen in Bäume verwandelt worden.“
„Ja, die Feen haben die Menschenfresser in Bäume verwandelt.“ Mathilda entspannt sich wieder und läuft weiter, den Ausgang suchend.
Heute sind keine Haselnüsse am Wünschen . So pflanzt Mathilda einen Reißig mit ihrem Herzenswunsch. Superheldin will sie sein und durch magische Portale reisen.
Etwas später sagt Mathilda: „Wie genüsslich die Schätze des Herbstes doch sind. Ich dachte es wird langweilig im Wald. Dabei sind hier so viele Schätze zu finden. Du musst nur richtig suchen.“ „Ja“, sage ich. „Das haben viele Erwachsene vergessen. Damit sie die Schätze wieder finden können, habe ich ein Buch dazu geschrieben und die Schätze fotografiert.“
Sie sagt, dass ihr Kopf ganz groß ist und alle ihre Erinnerungen darin gesammelt sind. Ich sage ihr, dass ich mir nicht mehr alles merken kann und meine Erinnerungen aufschreibe. „Ich habe dafür kein leeres Buch.“, sagt sie etwas später.
Kurz vor dem Krönungsspiegel hoppelt ein Hase durch unsere Welt. Auf einer
Bank, am Ende des Kreises, ist ein wunderschönes, herbstliches Stillleben aus
Weißdorn, Eicheln und goldenem Laub gelegt.
Eine kleine bunte Welt.
„Wir sehen uns wieder. Ich komme ganz bestimmt wieder hierher.“, ruft mir Mathilda zum Abschied zu. „Mein Papa konnte nicht mit in der Urlaub fahren. Er hat eine neue Arbeit. Er ist nämlich Mischer.“, sagt sie voller Stolz. „Was ist ein Mischer?“, frage ich. Mama lacht. „Papa mischt Beton.“. So bodenständig ist der Mischer.
Es sind die kleinen goldenen Lichtblicke, die wundervollen Begegnungen, die diese Welt so lebenswert machen. Das sind die wahren Schätze im Leben.
Katrin