07. 07. 2019 Frequenz
und Licht
Heute reise ich vom Schwanberg ab. Ich frühstücke und dann gehe ich mit meinem Gepäck zum Parkplatz. Der Tag ist etwas trüb, der Himmel mit Wolken bedeckt. In der Nacht hat es geregnet. Eine wahre Wohltat für die Natur. Diese trockene Erde, sie dürstet nach Wasser, so wie unsere Seele nach Liebe dürstet.
Auf dem Weg zum Parkplatz mache ich eine besondere Erfahrung. Es findet ein Radrennen statt. Der Beginn des Wettkampfes ist mit einer Startzeit von 10:20 Uhr angezeigt. Radrennfahrer und Mountainbiker sind geschäftig unterwegs, um alles zu organisieren. Es sind sehr viele Menschen versammelt, bestimmt über 100. Ich bin, wie immer, sehr präsent und aufmerksam. Lächle und grüße. Doch niemand nimmt mich wahr. Kein Lächeln, kein Wort, kein Blick - als ob ich unsichtbar bin.
Ich glaube, ich bin für diese Menschen wirklich unsichtbar. Sie sind so mit sich beschäftigt, dass sie Scheuklappen aufhaben und rein gar nichts anderes sehen als ihr Tun und sich selbst.
Mir wird etwas bewusst, was mir gestern gespiegelt worden ist. Ich war im Kontext mit dem Projekt, an dem ich beteiligt war, auf einer anderen Frequenz. Ich wurde nicht gesehen, nicht wahrgenommen. So wie die Radler mich heute auch nicht gesehen haben.
Das ist wie im Radio, wenn wir eine bestimmte Frequenz einstellen, dann empfangen wir diese Frequenz. Wenn ich zum Beispiel Klassik liebe und einen Radiosender einstelle der Pop spielt, dann empfange ich Pop und nicht Klassik, obwohl Klassik auch gesendet wird - nur auf einer anderen Frequenz.
Bevor ich mein Zimmer geräumt habe, bin ich durch den Schlosspark geschlendert, habe ein Eichhörnchen auf einem Baum beobachtet, Schmetterlingen zugesehen und das laute Summen der Bienen in den Lindenbäumen gehört. Auf dem Schwanberg gibt es einen Friedwald. Eine Frau begegnete mir mit ihrem alten Hund. Sie waren auf dem Weg zum Grab der Eltern. Hier dürfen die Hunde mit zur Grabstätte, dem Baum, und sogar zur Trauerfeier und Beerdigung. Das hat mich sehr berührt. Diese Beiden waren gemeinsam in der Natur unterwegs, um die Eltern beziehungsweise Herrchen und Frauchen zu besuchen. Der Hund hat als Welpe den Vater erlebt. Noch immer kann sich der Hund an diese Beziehung erinnern, erzählt mir die Frau. Es ist ein schöner Ort dieser Friedwald, ein guter Platz, um seine letzte Ruhe zu finden.
Wie ist das in Thüringen? Ich weiß, dass ein Mann aus Weberstedt vor sehr vielen Jahren die Idee hatte im Hainich einen Friedwald anzulegen. Vielleicht wäre es auch ein guter Gedanke ein Stück Ackerfläche in einen Friedwald zu wandeln. Dann können Bäume gepflanzt werden und die Asche geht wieder in den ewigen Kreislauf des Lebens ein. Das wäre ein schöner Platz für meine sterbliche Hülle - eingebettet an den Wurzeln eines Baumes, der in den Himmel wächst.
Mittlerweile ist es kurz vor 11:00 Uhr. Es ist Zeit zum Zimmer räumen. Mit meinem letzten Gepäck in der Hand trete ich auf den Schlosshof. In diesem Moment fährt ein Auto auf den Hof. Der grauhaarige Herr von gestern steigt aus. Er grüßt mich freundlich und ruft mir zu: „Man sieht sich immer zweimal im Leben." Ich erzähle ihm, dass ich vor wenigen Minuten für 100 Radler unsichtbar war. Aus dem kurzen Augenblick unserer Begegnung entwickelt sich ein sehr intensives Gespräch. Er ist Kursleiter und hat einen Bildhauerworkshop betreut. Ich erzähle ihm vom Friedwald. Er sagt, dass er für eine Gemeinde in Norddeutschland einen neuen Friedhof anlegt. Dort stehen 14 Stelen aus Granit oder Basalt. Wie stellt man "Auferstehung" dar? Das war die Frage für ihn. Er zeigt mir die Bilder von den Stelen. Sie ragen aus der Erde in den Himmel hoch. Wunderschön. Sie streben zum Licht. Eine kleine Stele führt er bei sich. Er zeigt sie mir. Dann beginnt er zu erzählen. In diese Stele hat er ein Loch gebohrt, doch ein Stück des Steines ist dadurch abgeplatzt. Er hat es wieder angeklebt. Den "Bruch" so nennt er ihn, den hat er mit goldener Farbe gefüllt. Das macht er immer so. Brüche, die entstehen, werden von ihm mit Gold geheilt. So ähnlich drückt er sich aus. Brüche gehören zum Leben. Mit der goldenen Farbe jedoch bekommen sie eine Heilung und Wandlung.

Die Farbe Gold als Ausdruck göttlicher Kraft, der Güte und Barmherzigkeit, der Heilung von Leiden sowie der spirituellen Erleuchtung und Erlösung - so habe ich es gerade nachgelesen.
Mit dem, in goldener Farbe, bestrichenen Bruch der Stele geht eine einzigartige Schönheit aus. Auch wir Menschen haben unsere Brüche im Leben. Wenn sie heilen, dann erinnern uns unsere Narben daran. Mit Weisheit und dem Erkennen wachsen wir an unseren Krisen und Brüchen. Dann haben wir eine Geschichte zu erzählen.
Ich war sehr gerührt von der schönen Begegnung. Ich habe den Herren nach seinem Namen gefragt. "Peter Licht" war die Antwort. Ich bekam Gänsehaut. Licht - meine Metapher für mein Leben. Wie wundervoll. Wir tauschten unsere Kontaktdaten aus. Peter bekam von mir meine große Visitenkarte - das Buch "Feensteig im Hier & Jetzt". Er hatte eine Visitenkarte mit der Vielfalt seiner Kunstwerke - Himmlisch. Doch, das war nicht alles. Er war ein pensionierter Pastor. Ich spielte mit dem Wort. Pastor - "Jetzt verstehe ich - das Wort Pastor neu - Pass-Tor. Ein Pastor ist ein Mensch, der andere Menschen über den Pass durch das Tor zum Himmel begleitet." Wir haben über dieses Wortspielt gelacht. Peter sagte mir dann noch, dass es bei ihm auch ein Feenland gibt. Doch dort werden die Feen mit h geschrieben. Fehen. Der Name Fehn ist von dem niederländischen „Veen“ abgeleitet worden und bedeutet dort „Moor“.
Mit Peter Licht war ich auf einer Wellenlänge, deshalb sind wir uns begegnet. Mit den Radfahrern war ich auf unterschiedlichen Wellenlängen an diesem Tag. Ich habe sie gesehen, sie mich nicht.
Inspiriert und voller Licht bin ich in mein Auto gestiegen, losgefahren und in mein Feenland zurückgereist.
Am späten Nachmittag war ich zurück in Weberstedt. Ich wollte unbedingt den Feensteig gehen, um alles Erlebte auf dem Weg zu beleuchten.
Was mir durch den Kopf ging war Folgendes: Im Rahmen des Seminars zeigte sich, dass ich es mir auf meinem Weg bequem gemacht habe. Das Wort bequem war nicht stimmig für mich. Leicht – Ja! - Leicht versuche ich meinen Weg zu gestalten. Ein Bild blieb mir im Kopf. Ich saß voller Freude in tiefer Ruhe und Gelassenheit auf meinem Weg. Das fühlte sich sehr glücklich an. Der Weg selbst war gar nicht mehr so wichtig in diesem Moment. Der Platz auf dem Weg, das Innehalten war für mich wichtig. Dort gab es soviel zu entdecken. Es war schön dort auf dem Weg, auf meinem Weg. Ich konnte träumen und ganz viel Schönes entdecken. In diesem Moment war ich im Einklang mit mir selbst - ganz im Hier und Jetzt. Hier konnte ich warten. Warten auf dem Weg.
Ich ging den kleinen Feldweg Richtung WaldResort entlang. Die blauen Blumen fielen mir wieder auf. Doch diesmal kam mir der Name in den Sinn. "Wegwarte" - ich glaube so heißen sie. „Das werde ich gleich zu Hause nachschauen" dachte ich. "Wegwarte" das würde passen.
Katrin